Beim 3. digitalen Stammtisch am 14. April 2020 durfte der KV Ortenau MdB Gerhard Zickenheiner willkommen heißen.
Neue Arbeitsweisen in der Fraktion durch Corona
Einleitend kam Gerhard darauf zu sprechen, dass die Arbeitsweise der Fraktion sich mit Corona sehr schnell verändert habe. Zunächst hätten die 67 Grünen-Abgeordneten viele Telefon-konferenzen gehabt, aber schnell verstärkt Videokonferenzen abgehalten. Gerhard meinte, er gehe davon aus, dass auch nach Corona durch die vorangeschrittene Digitalisierung einige Reisen wegfallen werden, er selbst werde z.B. nur noch selten persönlich nach Brüssel reisen.
Corona-App
Gerhard vertrat die Ansicht, dass eine auf Freiwilligkeit basierende Corona-App positiv zu beurteilen sei, womit er nicht bei allen Zuhörern auf Zustimmung stieß. Er persönlich hoffe aber auf eine große Akzeptanz in der Bevölkerung.
Deutschlands Verhalten innerhalb der EU im Zusammenhang mit Corona kritisierte Gerhard. Als Negativbeispiel führte er an, dass Italien fast ausschließlich Hilfen aus China und Russland erhalten habe.
Europa, Grenzen und Schutzkleidung
Das Thema Schutzkleidung sei viel zu lange vernachlässigt worden und Gerhard sieht hier einen großen Handlungsbedarf. Er äußerte die Forderung, Gelder für eine regionale Produktion locker zu machen. In diesem Zusammenhang kam er auch auf die Grenzschließungen zu sprechen, die er persönlich kritisch sehe. Selbst aus dem Drei-Länder-Eck stammend, wusste er zu berichten, dass es erste Ansätze für eine Zusammenarbeit von Badenern und Elsässern zur Produktion von Masken gibt, die Umsetzung aber aktuell mit den Grenzschließungen schwierig sei. Grundsätzlich sei die Schließung nationaler Grenzen kritisch zu beurteilen, da das Virus nicht nach Ländern unterscheide und der Grenzverlauf willkürlich sei und theoretisch überall liegen könne. Auch die großen Unterschiede innerhalb der einzelnen Nationen ließ Gerhard nicht außer Acht. Als Beispiel nannte er die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und BaWü. Aber natürlich müssten Grenzöffnungen gut überlegt sein und wohl koordiniert werden. Würden jetzt ohne weiteres die Grenzen geöffnet werden, hätte dies in den Grenzregionen zum Beispiel einen großen Ansturm auf deutsche Supermärkte zur Folge.
Auf die Frage, wie wieder zum Schengenabkommen zurückgekehrt werden könne, antwortete Gerhard, dass hierfür „mehr EU“ notwendig sei, sprich, ein gemeinsames europäisches Handeln.
Aber auch bereits nationale Einigkeit wäre ein wünschenswerter Fortschritt. Tatsache sei, dass die Krise uns noch lange begleiten werde und die Schengengrenzen aus Schutzgründen somit nicht so einfach bald wieder geöffnet werden könnten.
Corona-Strategie
Er gab zu bedenken, dass eine Durchseuchung von 60-70% der Bevölkerung viele Jahre in Anspruch nähme und man stattdessen auf schnelle Impfmöglichkeiten hoffen müsse. Mit etwas Glück könnte im aktuellen Fall bereits in einem Jahr ein Impfstoff gefunden sein. Bis dahin werde wohl eine „Normalität“ mit Mundschutz, Abstand und Schutzwänden einkehren – aber bisher zeige die Bevölkerung in dieser Hinsicht ja überwiegend Lernfähigkeit.
Klimawandel in Zeiten von Corona
Bereits bei seinem Vortrag Anfang Dezember letzten Jahres in Gengenbach hatte Gerhard von seiner Arbeit an einem neuen Positionspapier berichtete, in dem es um die Darlegung zukunftsweisender Ideen zur nachhaltigen Entwicklung vor allem in kommunalen Bereichen gehe. Diese seien der Schlüssel zur Umsetzung des Paris Klimaabkommens.
Diesmal konnte er die Zuhörer darüber in Kenntnis setzen, dass das Arbeitspapier nun öffentlich gemacht werde. Aufgrund der Corona-Krise habe er es die letzten Wochen noch zurückgehalten, dann aber erkannt, dass das Papier auch ganz aktuell zur Handlungsorientierung herangezogen werden könne und es zudem nicht verjähren sollte. Mehr als die Hälfte der Fraktion sei beim Arbeitsprozess beteiligt gewesen und somit stoße das Papier auf große Zustimmung innerhalb der Partei.
Mit der aktuellen Krise drohen 4-6 Millionen Arbeitslose und mit dem Wegfall von Kulturangeboten und ÖPNV wurden die Kommunen hart getroffen. Einen kommunalen Rettungsschirm hält Gerhard deshalb für notwendig. Außerdem sollten Umschulungen stattfinden und bspw. in zukunftsorientierte Bereiche wie Landschaftsplanung und -pflege investiert werden. Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssten am Leben erhalten werden. Hier spiele auch der Aspekt der Dezentralisierung eine Rolle, bspw. im Hinblick auf regionale Landwirtschaft, womit er einen Bogen zu seinem Positionspapier schlug.
Um Kommunen und deren Handeln zunehmend klimaneutral zu gestalten, seien zunächst Leitbilder zu erstellen, dann müssten Förderungen greifen. (Regionale) Arbeitsgruppen gelte es in den Prozess einzubeziehen, um ihr Wissen für das Leitbild zu bündeln. So könnten wichtige Maßnahmen in den Bereichen Verkehr/ÖPNV, dem Ausbau von Radwegen sowie Gebäudedämmungen in den Kommunen großflächig umgesetzt werden. Dieser Schritt sei zwar teuer, aber unvermeidbar und letztlich billiger als im Kampf gegen den Klimawandel untätig zu bleiben. Der Mangel an Fachpersonal im Handwerk und in planerischen Berufen ist bekannt und mit den anstehenden Veränderungen wird der Bedarf an Arbeitskräften nochmal enorm steigen. Gerhard appellierte an dieser Stelle, nicht nur Studienberufe zu fördern. Es könne nicht sein, dass man als Architekt ganz gut Geld verdienen könne, nicht aber als Landschaftsplaner. Gerhard hielt fest, dass der Klimawandel wegen Corona nicht warten könne.
Ab sofort steht das Positionspapier auf Gerhards Homepage der Öffentlichkeit zur Verfügung. Auch Infos zu Grenzen und Corona können Interessierte dort erhalten.
Aktuelle Situation der grünen Partei
In Zusammenhang mit dem Klimawandel stellte ein Zuhörer abschließend die Frage, ob die grüne Fraktion Corona auch als Chance sehe oder mehr als Gefahr für die eigentlichen Kernthemen der Partei. Darauf antwortete Gerhard, dass die Umfragewerte zwar aktuell wieder sinken, zum Glück aber nicht in dem Ausmaße wie bei der FDP und AfD. In der Fraktion herrsche eine ambivalente Stimmung. Gerhard vertrat die Ansicht, gerade Corona mache Grenzen des globalen Handelns sichtbar und der Markt dürfe nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden.
Resümee
Zusammenfassend zum abendlichen Thema „Grenzen öffnen?“ hielt Gerhard fest, dass es derzeit an einer europäischen Orientierung mangele, europäische Erfolge aber notwendig seien. Zum Schluss konnte noch positiv hervorgehoben werden, dass Corona auch einen großen Gemeinschaftssinn bewirkt. Es bestehe die Hoffnung, durch die großen Hilfeleistungen viel aus der Krise retten zu können und die Wertschätzung im eigenen Land, z.B. durch regionale Landwirtschaft, steigern zu können.
Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei Gerhard bedanken!