Der Kreisverband Ortenau von Bündnis 90/Die Grünen hatte am 05.12.2019 zu einem Vortrag des Bundestagsmitgliedes Gerhard Zickenheiner nach Gengenbach eingeladen. Bei seinen Ausführungen zum Thema „Wie wir die Kurve kriegen können! Nachhaltig handeln statt krachend in der Klimakrise enden“ ließ er viel Raum für Diskussionen.
Zickenheiner kam im Nachrückverfahren im Januar 2019 in den Bundestag und ist für die Grüne BundestagsfraktionMitglied im EU-Ausschuss sowie im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBnE). Er kommt aus Lörrach und vertritt die Region Südbaden im Bundestag. Damit hat er den weitesten Weg nach Berlin – den er am liebsten im Nachtzug zurücklegt.
Die Zahl an Zuhörern war leider recht überschaubar, doch Zickenheiner reagierte darauf souverän, nahm sich viel Zeit und zeigte großes Interesse an einem engen gegenseitigen Austausch. Den Leitfaden seines Vortrags bildete die Agenda 2030. Zunächst hob er die ganzheitliche Berücksichtigung aller zum Thema Nachhaltigkeit relevanten Bereiche hervor. Glücklicherweise sei erkannt worden, dass die 17 Ziele – zu denen u.a. Umwelt, Klima, Soziales, Wirtschaft, Armut und Bildung gehören – in der Waage zu halten seien und einander bedingten. 196 Länder haben sich hierbei auf einen Kodex geeinigt und es obliegt den einzelnen Ländern zu evaluieren und die eigenen Defizite sowie Potenziale offenzulegen. In diesem Zusammenhang bemängelte Zickenheiner, dass es an der Umsetzung hapere und bisher kaum Konzepte existierten, was bis wann umgesetzt werden sollte. Untersuchungen hätten ergeben, dass vieles derzeit sogar eher rückläufig sei. An dieser Stelle kritisierte der Referent auch die Haltung der Bundesrepublik innerhalb der EU. Mit Verkehr und den nach wie vor viel zu hohen Nitratwerten nannte er zwei Negativbeispiele. Positiv bewertete er die seit 2019 in Baden-Württemberg vorgeschriebenen Gewässerrandstreifen. Die Frage eines Zuhörers, ob die Schweiz bei der Umsetzung der Agenda 2030 bereits weiter sei, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Jedoch stellte Zickenheiner den hohen Stellenwert der Wissenschaft in der Schweiz heraus, während andernorts die Politik oft gegenläufig zu wissenschaftlichen Nachweisen agiere.
Der Bundestagsabgeordnete berichtete von seiner Arbeit an einem neuen Positionspapier, in dem zukunftsweisende Ideen zur nachhaltigen Entwicklung in verschiedenen Bereichen dargelegt werden. In diesem Kontext brachte Zickenheiner den Kaskadenwerkstoff Holz zur Sprache (Kaskadennutzung = Mehrfachnutzung). Dieser spiele eine große Rolle in Bezug auf eine neutrale Klimabilanz, in Baden-Württemberg sei die Entwicklung beim Holzbau bereits recht positiv. Auf die Frage, wie eine neutrale Klimabilanz mit Sozialem und Wohnen einhergehe, erwiderte der Grünen-Politiker, dass es durchaus Möglichkeiten gäbe. Vor allem seien seiner Meinung nach Mehrfamilienhäuser mit günstiger Klimabilanz zu fördern, wohingegen er kein Freund von Siedlungen aus Einfamilienhäusern sei. Gebäudesanierungen, v.a. auch in Hinblick auf Wärmedämmung, böten regionalen Handwerkern große Chancen.
Ein wichtiger Aspekt im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung sei die verstärkte Förderung regionaler Landwirtschaft. Der Begriff „Heimat“ sei in diesem Zusammenhang neu zu definieren und müsse mit dem der „Ernährung“ zusammengebracht werden. Öffentliche Einrichtungen und z.B. Krankenhäuser müssten regional versorgt werden. Aus dem Publikum kam hierzu die Anmerkung, dass die Neubewertung des Begriffes Heimat der EU im Kampf gegen den zunehmenden Nationalismus helfen könne. Tenor war, dass die Entwicklung hin zu mehr Regionalisierung Zeit beanspruche, doch unumgänglich sei. Ein Zuhörer brachte den Aspekt dezentrale Energieversorgung ein. Zickenheiner betonte deren Bedeutung und unterstrich, dass gerade auch herausforderndere Bereiche angegangen werden müssten, wobei nationale Programme die Grundlage für regionale Entwicklungen bildeten.
Bezüglich der aktuellen Herausforderungen im Bereich Verkehr griff Gerhard Zickenheiner das Argument einiger Gegner einer Reduktion des Individualverkehrs auf, hierdurch ginge Lebensqualität verloren. Dem widersprach er entschieden, vielmehr glaube er, dass viele Bereiche lebenswerter werden könnten. So kam er darauf zu sprechen, wie Stadt und Land in Zukunft aussehen könnten. Beispielsweise entfielen durch weniger Autos Verkehrsräume und er stellte die Frage in den Raum, wie sich mehr Bäume in den Straßen wohl auf Licht- und Lärmemissionen auswirken würden. Innerhalb der Diskussion zur Verkehrsproblematik wurde auch die Anregung gegeben, neue Arbeitszeitmodelle einzusetzen, um den Berufsverkehr einzudämmen.
Viel Diskussionspotenzial und Skepsis innerhalb der Runde gab es zum Thema Digitalisierung und der damit einhergehenden Problematik bezüglich des Stromverbrauchs. Während durch die Digitalisierung im Bereich Mobilität einerseits Energie gespart werden könne, steige der Energieverbrauch durch digitale Medien trotz stetiger technischer Optimierungen kontinuierlich an und dürfte wohl bald auf dem ersten Platz liegen. Zickenheiner merkte an, dass er sich bislang mit dieser Problematik noch weniger beschäftigt habe, ihr aber zukünftig mehr Beachtung schenken wolle. Im Laufe des Abends kam das Publikum auch auf Gemeinwohlökonomie, als Gegenmodell zur rein auf Wachstum ausgerichteten und ressourcenfressenden Wirtschaftsstruktur, zu sprechen. Zickenheiner betonte die Bedeutung der Gemeinwohlökonomie für soziale Nachhaltigkeit und er sei sich der Chancen bewusst. Gleichzeitig verwies er darauf, dass er sich in diesem Bereich selbst noch im Lernprozess befinde. Um bedingungsloses Grundeinkommen, so waren sich alle einig, ist es in letzter Zeit eher ruhiger geworden. Wahrscheinlich habe ein Experiment dazu in Finnland, welches vorzeitig abgebrochen wurde und somit gescheitert ist, entscheidend dazu beigetragen.
Gegen Ende ging an das Mitglied des EU-Ausschusses die Frage, wie denn die EU dazu stehe, zukünftig mehr auf Kommunen zuzugehen, da dieser Schritt ja zunächst eher zu Globalisierungsgegnern passe. Für Gerhard Zickenheiner hat die EU derzeit einen hohen Stellenwert. So gebe es auf europäischer Ebene viel Potenzial für Grenzwerte – mehr als auf nationaler Ebene. Die größte Aufgabe der EU sehe er in deren ausgleichender Wirkung. So sei Spanien bspw. bei einem Umstieg auf Nachhaltigkeit in den Sektoren Landwirtschaft und Tourismus auf Unterstützung angewiesen, Polen benötige diese beim Kohleausstieg.
Der Vortrag und die Diskussionen stießen allgemein auf positive Resonanz und Gerhard Zickenheiner freute sich, auch Anregungen mit auf den Weg bekommen zu haben.
Wir bedanken uns bei unserem Bundestagsmitglied aus Südbaden für den anregenden und informativen Abend und würden uns freuen, ihn bald wieder in der Ortenau begrüßen zu dürfen.
(Ricarda Buchholz)